Timmo Hardung: "Wir haben große Ziele und möchten über uns hinauswachsen!"
Gestern um 01:59 AM
Jugend forscht – dieses Motto könnte auch für die Frankfurter Eintracht in dieser Bundesliga-Saison gelten, denn mit einem Durchschnittsalter von 24,3 Jahren hat die SGE den jüngsten Altersschnitt der ganzen Liga. Trotzdem – oder genau deswegen – spielt die SGE herrlich erfrischend auf und liegt derzeit auf einem überragenden dritten Platz in der Liga – nur Leipzig und der deutsche Rekordmeister FC Bayern München sind hier noch besser. Gestandene Mannschaften wie der deutsche Meister Bayer 04 Leverkusen oder Borussia Dortmund sehen derzeit dagegen nur die “jungen” Hacken der SGE-Spieler.
Eintracht-Sportdirektor Timmo Hardung erklärte den “Jugendwahn” auf “eintracht.de” nun und betonte, dass es hier niemals um Superlative ging: “Uns geht es nicht darum, Rekorde zu brechen und aus Selbstzweck die jüngsten Spieler aufzustellen. Natürlich arbeiten wir gerne mit talentierten und entwicklungsfähigen Spielern, aber das bringen bei uns gleichermaßen Akteure mit, die älter als der angesprochene Durchschnitt sind.” Es sei wichtig, dass der Spieler “die entsprechende Einstellung zum Profifußball” mitbringe und lernwillig sei. “Unsere Kaderstruktur bringt es mit sich, dass darunter aktuell mehr jüngere Spieler sind als in den Jahren zuvor”, so Hardung. Alleine in den letzten Wochen schafften es mit Kaua Santos, Nathaniel Brown und Nnamdi Collins drei ganz junge Spieler, sich mindestens in den erweiterten Kreis der Stammelf zu spielen – und das scheinbar ohne Anlauf, sondern direkt von der Ersatzbank bzw. der Tribüne. Wirklich überraschend sei das aber vor allem für die Verantwortlichen nicht gewesen, erklärte der 35-Jährige: “Diese Beobachtung ist schon zutreffend, wir sehen unsere Spieler in der täglichen Arbeit und sehen dadurch wie sich entwickeln. Trotzdem wissen wir natürlich um die Brisanz eines Pflichtspiels, das immer eine besondere Drucksituation mit sich bringt. Nicht immer lässt sich vorhersehen, wie – vor allem jüngere – Spieler damit umgehen. Beispielsweise Kaua, Nnamdi und Nene haben wir seit der Sommervorbereitung sehr intensiv beobachtet. Die beiden Erstgenannten kennen wir noch länger. Alle haben schon in den Testspielen viel Einsatzzeit bekommen und ihre Qualitäten aufblitzen lassen.”
Gerüst aus erfahrenen Spielern als große Hilfe
Trotzdem kann man auch einen weiteren klaren Stil erkennen, denn der SGE-Kader ist gespickt mit erfahrenen Spielern, die der Mannschaft Sicherheit geben. Beispiele hier sind sicherlich Kevin Trapp, Robin Koch oder auch Tuta und Omar Marmoush, die zwar beide erst 25 Jahre alt sind, aber damit schon über dem Altersdurchschnitt liegen und bereits viel Erfahrung sammeln konnten. “Es gehört auch zur Wahrheit, dass die Jungs, die sich zuletzt in den Vordergrund gespielt haben, von dem Gerüst der Mannschaft und den Spielern profitieren, die den Schnitt ein bisschen nach oben heben. Der Mix macht es aus, dass alle Elf, die auf dem Rasen stehen, performen und ihre Leistung abrufen können“, so der ehemalige Hoffenheimer, der auch erklärte, dass die Beobachtung von möglichen Neuzugängen und wie diese in das Team passen könnten, bereits sehr früh beginne. “Zu Teilen nutzen wir dazu das Livescouting, um zu beobachten, wie sich potentielle Neuzugänge aufwärmen, wie sie sich bei Aus- oder Einwechslungen verhalten, wie sie mit Fehlern oder guten Aktionen umgehen. Daraus versuchen wir, erste Eindrücke zu ziehen, was den Charakter angeht”, erklärte er und verriet weiter, dass auch der persönliche Kontakt äußerst wichtig sei: “Nicht zuletzt ist es Markus Krösche und mir enorm wichtig, mit den Spielern selbst zu sprechen. Hierbei geht es weniger um den fußballerischen Aspekt, über den wir in diesem Stadium sehr gut im Bilde sind, sondern um Charakter, Einstellung, Werdegang: den Menschen.” Bei den Verpflichtungen gehe es aber immer auch um die Kaderstruktur. Beispielsweise könne und wolle man keine 20 Stammspieler verpflichten, sondern auch “Herausforderer, die sich entwickeln können und müssen”, so der Sportdirektor. Entscheidend sei dann, dass die SGE das Gefühl habe, dass der Spieler unbedingt nach Frankfurt wolle. “Mit allen Vorteilen, die Eintracht Frankfurt bietet, aber auch allen Herausforderungen, die ein Wechsel in die Bundesliga mit sich bringt. Wir haben mit allen Spielern Geduld und erwarten das umgekehrt genauso. Denn jedes Spiel ist eine Momentaufnahme – tabellarisch und individuell. Situationen im Sport und speziell im Fußball können sich sehr schnell ändern. Es ist wichtig, demütig zu sein und dranzubleiben. Der Umstand, Woche für Woche vom Trainerteam nach Leistung bewertet zu werden, ist die große Chance, die sich hier jedem bietet”, erklärte Hardung.
Fokus auf den eigenen Nachwuchs
Auffallend war, dass die SGE in den letzten Jahren immer wieder in der zweiten Bundesliga oder der zweiten französischen Liga aktiv wurde und hier Spieler beobachtet und verpflichtet hat. Dass es immer diese Ligen waren, habe einen Grund. “Sportlich spricht nichts dagegen, sich in anderen Ländern umzuschauen, aber ein Zufall ist die genannte Auswahl nicht, was unter anderem der Marktsituation geschuldet ist”, so der 35-Jährige, der genauer erklärte: “Gerade interessante Spieler aus der Championship haben das Ziel, in der Premier League anzukommen. Das ist ein anderes Standing und die Bundesliga eher der Umweg als das wirkliche Ziel. An diesem Punkt sind wir raus. Junge Spanier wiederum gehen ungern früh ins Ausland, wollen sich in der Heimat entwickeln, bei Italienern ist es häufig ebenso schwer, die absolute Begeisterung für die Bundesliga zu entfachen. Und gleichzeitig sind wir der festen Überzeugung, dass wir in Deutschland nicht weniger gute junge Spieler haben, deshalb behalten wir die Bundesliga und zweite Liga im Blick.” Der erste Schritt sei aber nicht die zweite Liga oder die Ligue 2, sondern der eigene Nachwuchs: “Im ersten Schritt sehen wir uns immer im eigenen NLZ, in der Frankfurter Umgebung und im Rhein-Main-Gebiet um. Diese Abfolge ist uns immens wichtig für die Kaderplanung. Wenn du den eigenen Nachwuchs fördern willst, musst du diese Jungs auf dem Schirm haben und ihnen Perspektiven aufzeigen können. Das beinhaltet Einsätze in höheren Jahrgangsstufen oder Training mit den Lizenzspielern. Profifußball ist hier die letzte Konsequenz. Nur wenn wir über die Qualitäten unserer eigenen Jungs Bescheid wissen, können wir einschätzen, ob es Sinn macht, unseren Radius zu erweitern.” Hier sei es aber auch wichtig, dass den Spielern genügend Zeit für ihre Entwicklung gegeben werde: “Wenn der Trend in die richtige Richtung geht, bekommen die Jungs vom Trainerteam und Staff alle Zeit und Hilfestellungen, um sich zu entwickeln. Erfahrungsgemäß möchte irgendwann eher ein Spieler eine Veränderung. Das gehört dazu und ist nicht schlimm. Wir sind in unserer Einschätzung immer sehr konkret und ehrlich, um jeden Einzelnen besser zu machen. Das dauert beim einen kürzer, beim anderen länger und geschieht manchmal selbstverschuldet, manchmal unverschuldet. Ein gutes Beispiel dafür ist Oscar Højlund, der gleich gute Ansätze gezeigt hat, aber von einem Mittelfußbruch ausgebremst wurde. Oder Nnamdi Collins: er war sich nicht zu schade, in der U21 zu spielen und hat von Tag eins an signalisiert, dass er Bock hat auf unseren Weg. Solange wir beim Spieler den Elan sehen, den er bei der Verpflichtung hatte, bekommt er immer die volle Unterstützung.”
Vorbereitung von Körper und Geist
Wichtig sei laut Hardung aber auch, dass immer der Mensch und dessen Körper gesehen und geachtet wird: “Wir sprechen bei aller fußballerischen Begabung hier immer noch von jungen Erwachsenen. Auch wenn es sich um Hochleistungssportler handelt, muss man dem Körper Zeit geben, sich an die Leistungsfähigkeit, die häufig alle drei Tage im absoluten Grenzbereich nötig ist, anzupassen. Das geht nicht von heute auf morgen, keiner kann zaubern. Im Grunde sind Verletzungen ohne gegnerische Einwirkung theoretisch vermeidbar. Dem müssen wir Rechnung tragen durch Belastungssteuerung in einer Trainingswoche oder am Spieltag.” Außerdem müsse auch der Geist vorbereitet werden. “Bei allem berechtigten Lob wird jeder auch mal Spiele haben, in denen nicht alles gelingt. Davon dürfen sich die Jungs nicht beirren lassen. Sie müssen – vor allem für sich – wissen, was sie leisten, aber dass die vielen Schulterklopfer schnell wieder weg sein können. Die Leute, die immer hinter ihnen stehen, arbeiten hier im ProfiCamp. Wir sehen die Entwicklung, auch im Kleinen, die Außenstehenden verborgen bleiben”, erklärte Hardung. Hier sei das Trainerteam äußerst wichtig: “Es ist immens wichtig, dass die Trainer richtig Lust haben, Spieler zu entwickeln und Potential in Qualität zu verwandeln. Das ist essentiell, weil wir unseren Kader ein Stück weit danach ausrichten und Jungs fördern, die an sich arbeiten und nicht jede Kritik persönlich nehmen, sondern als Rat verstehen. Das lebt unser Trainerteam tagtäglich auf dem Platz vor.”
Von den jüngeren, entwicklungsfährigen Spielern hat die SGE derzeit eine Menge – und von hinten rücken immer mehr Leute nach. “Am Ende geht es uns um eine hohe Konkurrenzsituation, was nur von Vorteil sein kann. Ein qualitativ breiter Kader bedeutet, dass der Kampf um die Startelf immer groß ist”, so der 35-Jährige, der betonte, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein soll: “Wir haben große Ziele, möchten über uns hinauswachsen und auch die schwierigsten Spiele für uns entscheiden. Ein hoher Konkurrenzkampf schafft eine hohe Trainingsqualität, die auf hoher Trainingsintensität basiert. Das führt zu einer stärkeren und schnelleren Entwicklung des Einzelnen und schließlich einer Mannschaft, die am Wochenende größere Siegchancen hat als eine Elf, die sich von selbst aufstellt. Auch erleichtert es dem Trainer die Arbeit, sei es hinsichtlich Belastungssteuerung oder um das Personal gegebenenfalls ein Stück weit nach dem Gegner auszurichten.”
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